WIE FAIRTRADE MENSCHENRECHTE STÄRKT FAIRTRADE ÖSTERREICH MAX HAVELAAR-STIFTUNG (SCHWEIZ) TRANSFAIR E.V. DEUTSCHLAND JAHRES- UND WIRKUNGSBERICHT 2019 Foto: Fairtrade/Christoph KöstlinProduzentenorganisationen erhielten 2018 188 Mio. € Prämien, das entspricht +6 Prozent 1,7 Millionen FAIRTRADE-Produzenten in 1.707 Organisationen 2 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis S. 3 EDITORIAL: AUFBRUCH IN EIN NEUES ZEITALTER S. 4 DER BLINDE FLECK DES KONSUMS S. 8 INTERVIEW MIT TYTTI NAHI: «UNTERNEHMEN STEHEN IN DER VERANTWORTUNG» S. 9 CARTE BLANCHE: KAKAO – IM KAMPF GEGEN KINDERARBEIT S. 10 DIE FAIRTRADE-WELT S. 12 FAIR-FASHION STATT FAST-FASHION S. 13 FAIRTRADE – EINE GLOBALE BEWEGUNG S. 14 REPORTAGE VOM KAKAOANBAU: BILDUNG SCHAFFT ZUKUNFT Fairtrade ist das bekannteste Nachhaltigkeitssiegel weltweit 2018 erzielten Fairtrade- zertifizierte Produkte weltweit einen Umsatz von 9,8 Mrd. € Es gibt mehr als 35.000 verschiedene Fairtrade- Produkte weltweit im Handel 90 % der Fairtrade- Produzenten sind Kleinbauernfamilien, 10 % Angestellte Stand: April 2020 | Quellen: FI Annual Report 2018/2019, FI Monitoring Report 20193 Editorial: Aufbruch in ein neues Zeitalter Nach wie vor werden im globalen Süden Produktionskosten häu fig auf Menschen und Umwelt abgewälzt. Produkte wie Kaffee, Kakao, Bananen oder Textilien sind so billig, dass die Menschen kaum davon leben können. In den nächsten Jahren wird sich wei sen, ob wir es schaffen, dem aktuellen Wirtschaftsmodell öko logische und faire Leitplanken aufzuzeigen. Deshalb müssen wir unsere Bemühungen für die Menschenrechte und ein exis tenz sicherndes Einkommen noch wesentlich verstärken. Dies geht aber nicht zum Nulltarif. Viele meinen, fair zu handeln sei in Zeiten von Corona, eines er starkenden Populismus und des Billigwahns ein schwieriges Un ter fangen. Das ist nicht falsch. Aber wir sehen auch grosse Chan cen: Junge Menschen wehren sich gegen die Ausbeutung des Planeten, immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten hinterfragen die heutige Produktion von Lebensmitteln und fordern faire und ökologische Bedingungen. Themen, die wir als Fairtrade schon lange ange sprochen haben, gewinnen zunehmend an Be deutung – nicht nur in den Medien, auch in den Köpfen der Kon su mentinnen und Konsumenten. Es zeigt sich, dass unsere Strategie, ein starkes, unabhängiges Siegel zu etablieren, dem die Menschen vertrauen können, auf gegangen ist. Zumal Fairtrade mehr ist als ein Siegel, es ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung und zugleich ein System, das soziale, ökologische und ökonomische Standards nicht nur fördert, sondern festlegt. Die Standards sind kein starres Kons trukt, sondern ein lernendes System, welches sich ständig an passt und weiterentwickelt. In unseren Gremien, in denen die Vertreterinnen und Vertreter aus den Anbauländern 50 Prozent der Stimmrechte haben, werden wichtige Entscheidungen für die Zukunft getroffen. So hat Fairtrade letztes Jahr beispielsweise den Mindestpreis und die Prämie für FairtradeKakao um 20 Prozent angehoben und den Standard für Kleinbäuerinnen und bauern verbessert. Zudem unterstützen wir sie bei Massnahmen zur An passung an den Klimawandel. Diese globalen Herausforderungen, aber auch die Pflicht zur Ein haltung der Menschenrechte wird Fairtrade nicht alleine be wäl tigen können – wir brauchen starke Partner an unserer Seite. Viele Akteure aus der Wirtschaft und dem Handel unter stützen uns, sind an unserem Erfolg beteiligt und nehmen die Heraus for derungen an. Wir möchten uns ganz herzlich bei diesen Partnern und allen wei teren Unterstützern bedanken: Ohne Sie wäre unsere Arbeit nicht möglich, und wir freuen uns, wenn wir weiterhin auf Sie zählen können. Unsere Vision ist klar: Wir wollen das kommende Jahrzehnt zu einem faireren Jahrzehnt machen! Renato Isella, Geschäftsleiter Max HavelaarStiftung (Schweiz) Dieter Overath, Vorstandsvorsitzender von TransFair e.V. Deutschland Hartwig Kirner, Geschäftsführer FAIRTRADE Österreich Das CoronaVirus hat unsere Welt verändert. Nun muss sich zeigen, wie wir diese nachhaltiger und fairer gestalten. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Menschenrechte. AUFBRUCH IN EIN NEUES ZEITALTER Foto: Fairtrade/Jakub Kaliszewski Hartwig KirnerRenato IsellaDieter OverathWeniger als 5 Euro oder Franken kostet ein TShirt, wenn es in Mit teleuropa bei einem ModeDiscounter über die Ladentheke geht. In diesem Moment ist es nicht nur um die halbe Welt gereist, es waren rund 140 Arbeitsschritte notwendig, um es zu pro duzieren: vom Anbau der Baumwolle über das Entkörnen, das Verarbeiten der Fasern in einer Spinnerei, die Herstellung des Stoffes in ei ner Weberei, das Veredeln sowie schliesslich bis zum Nähen und zur Auslieferung. Unter welchen Bedingungen Menschen ar bei ten, damit ein TShirt zu einem solchen Billigpreis mit Gewinn ver kauft werden kann, hat lange Zeit nur wenige interessiert. Bis am 24. April 2013 in Bangladesch das achtstöckige Gebäude Rana Plaza einstürzte und mehrere tausend Menschen unter sich begrub. Sie produzierten hauptsächlich Kleidung für den Export, unter anderem für Unternehmen wie Benetton, C&A, KiK, Primark, Adler Modemärkte oder für deren Zulieferer. Kinderarbeit in der Kakaobranche Diese Katastrophe löste einen Aufschrei in den Medien aus und brachte viele unhaltbare Zustände ans Tageslicht. Runde Tische wurden gegründet, die Textilindustrie gelobte Bes se rung. Man cherorts wurden kleine Fortschritte erzielt; an den Hun ger löhnen und den ganz allgemein viel zu geringen Ein kom men hat sich aber wenig geändert. Und auch in anderen Branchen sieht es kaum besser aus. Beispiel Kakao: Der Weltmarktpreis liegt aktuell bei rund 2.100 Dollar pro Tonne und ist damit so tief gesunken, dass die Kakaobäuerinnen und bauern nicht davon leben kön nen. Noch 1980 erhielten sie mit rund 5.000 Dollar mehr als dop pelt so viel. Die Weltbank hat ein tägliches Einkommen von 1,90 Dollar als absolutes Minimum definiert, das eine Person zum Überleben braucht. Der durchschnittliche Verdienst von Kakaobäuerinnen und bauern in der Côte d’Ivoire und in Ghana liegt unter einem Dollar. Wer unter dem Existenzminimum lebt, kann keinen Dünger oder erwachsene Erntehelfer bezahlen. Die Folge: Kinderarbeit. Nach Schätzungen des SüdwindInstituts arbeiten auf den Kakaoplantagen der beiden Länder, in denen zwei Drit tel des weltweit verkauften Kakaos geerntet werden, rund 2,1 Millionen Kinder. In der Vergangenheit gab es zwar immer wieder Bemühungen, die Kinderarbeit einzudämmen, doch kein Unternehmen und keine Regierung hat bisher die vom Kakao sektor definierte Selbstverpflichtung erreicht, die Kinder arbeit bis 2020 um 70 Prozent zu reduzieren. Einkommen weit unter Existenzminimum «Der Weltmarktpreis ist zu niedrig, um ein existenzsicherndes Ein kommen zu erreichen», bestätigt auch AnneMarie Yao, Cocoa Manager von Fairtrade Africa. Kleine Anbauflächen und niedrige Ernten sind weitere Gründe für diese fatale Entwicklung. Neben Armut gefährden Klimawandel und die Abwanderung der Jugend die Lieferketten des Kakaos. Der Preisdruck hat nicht nur eine negative Wirkung auf die Menschen. Mehr als 90 Prozent der Ur wälder Westafrikas sind verschwunden. Sie fielen unter ande rem dem Kakaoanbau zum Opfer. Die späte Pflicht für die Unternehmen Ob Textilien oder Kakao, Bananen oder Gold – die Produkte las sen sich fast beliebig austauschen. Wenn ausländische Zulieferer grundlegende Menschenrechte verletzen, haften Unternehmen 4 Der blinde Fleck des Konsums Noch immer werden weltweit vielen Millionen Menschen elementare Grundrechte vorenthalten – vor allem in der Lieferkette global arbeitender Unternehmen. Fairtrade zeigt, wie Alternativen aussehen. DER BLINDE FLECK DES KONSUMS Foto: Fairtrade/Peter Caton Vor 40 Jahren war eine Tonne Kakao mehr als doppelt soviel wert wie heute: Bäuerinnen der Kooperative Cayat auf dem Weg zur Arbeit. DIE Un-LEITPRINZIPIEN FÜR Wirtschaft und Menschenrechte 2011 haben die Vereinten Nationen (UN) die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Seitdem gelten sie als eines der wichtigsten internationalen Regelwerke. Sie be ruhen auf den drei Prinzipien Schutz, Achtung und Abhilfe. Schutz: Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, Menschen durch angemessene Politik, Regulierung und Rechtsprechung vor Ver stö ssen der Menschenrechte zu schützen. Achtung: Unternehmen haben die Verantwortung, Menschen rechte zu achten. Sie sollen eine Sorgfaltsprüfung (Due Dili gence) vorsehen, um mögliche negative menschenrechtliche Aus wir kun gen ihrer Geschäftstätigkeit zu beenden sowie sich um Wieder gutmachung bemühen. Abhilfe: Als Teil ihrer Schutzverpflichtung müssen Staaten den von Menschenrechtsverstössen betroffenen Personen Zugang zu gerichtlichen und aussergerichtlichen Mitteln verschaffen, damit wirtschaftsbezogene Menschenrechtsverstösse untersucht, ge ahn det und wiedergutgemacht werden. aus dem Norden nicht – sie profitieren. Und viele Länder können oder wollen das Thema nicht angehen. Menschenrechte in der Lieferkette sind der blinde Fleck des Konsums. Dabei deklarierten die Vereinten Nationen bereits 1948 die all gemeinen Menschenrechte und dass Staaten verpflichtet sind, diese zu schützen. Aber erst 63 Jahre später – im Jahr 2011 – erweiterte die UN mit ihren Leitprinzipien für Wirtschaft und Men schenrechte (siehe Kasten rechts) die Verantwortung auf Unter nehmen. Diese neuen internationalen Empfehlungen setzten so wohl für Staaten als für Unternehmen einen wichtigen Rahmen. Die EU Kom mission hat bei spielsweise ihre Mitgliedsstaaten aufgefordert, diese Prinzipien auf nationaler Ebene anzuwenden (siehe Kasten Seite 6/7). Erste Gesetze für mehr Transparenz in Lieferketten Das erste Lieferkettengesetz verabschiedete der US Bun desstaat Kalifornien. 2012 trat dort ein Gesetz zur Transparenz von Lie fer ketten in Kraft. Danach müssen Unternehmen offen le gen, welche Schritte sie unternehmen, um Menschenhandel und Skla verei in ihren Lieferketten auszuschliessen. Ein Jahr später folg ten die USA mit einem Bundesgesetz, dem Dodd-Frank Act. Er ver pflichtet Unternehmen, die Lieferkette für Mineralien wie Col tan, Gold, Zinn oder Wolfram transparent zu gestalten, um so die Finan zie rung von gewaltsamen Konflikten in Zentralafrika zu verhindern. Das erste Land in Europa mit einem entsprechenden Gesetz war Grossbritannien. Seit 2015 gilt dort der Modern Slavery Act, das Gesetz zur Bekämpfung moderner Sklaverei. Diesem Beispiel folgten Frankreich 2017 mit dem Loi de Vigilance und die Nieder lande 2019 mit dem Gesetz über die Sorgfaltspflicht bei der Kin- der arbeit. Auch Australien hat mit seinem Modern Slavery Act 2018 eine entsprechende Gesetzgebung erlassen. Das Be son dere an dem Act: Er gilt nicht nur für Unternehmen, son dern auch für staat liche Einrichtungen, die Bundesstaaten, die Uni ver si täten und so gar die Nichtregierungsorganisationen. «Menschenrechte bedeuten für mich, dass der Mensch wahrgenommen wird, dass er nicht erniedrigt wird und dass er geschätzt wird.» Dolcey Silgado, Arbeiter bei Bananeras de Urabá, Kolumbien Foto: Fairtrade/Christoph Köstlin 140 Arbeitsschritte bis zum fertigen T-Shirt: Da dürfen Menschenrechte nicht auf der Strecke bleiben. 5 Der blinde Fleck des KonsumsInitiativen in Deutschland und der Schweiz In vielen EUMitgliedsstaaten wie Belgien und Finnland sind Lie fer kettengesetze in Vorbereitung. Auch in der Schweiz wird ak tu ell eine Volksinitiative zur Konzernverantwortung im Par la ment behandelt. Deutschland hat sich für eine frei wil lige Lö sung ent schieden. Diese befin det sich bereits seit einigen Jah ren in der Umset zung, ohne dass damit nen nenswerte Fort schritte erzielt wurden. Daher hat sich in Deutschland mit der «Initiative Liefer kettengesetz» ein breites zivil gesell schaftliches Bünd nis aus über 80 Organisationen for miert, das auch von Fairtrade unterstützt wird. Das Bündnis for dert die deutsche Bun desregierung auf, umgehend ein Gesetz ge bungs verfahren einzuleiten. Mittlerweile plädieren aber auch immer mehr Unternehmen für die Einführung eines Lieferkettengesetzes. Im Dezember 2019 unter schrieben 42 international tätige Firmen eine entsprechende Peti tion, darunter Unternehmen wie Vaude, Ritter und Tchibo. Ihrer Meinung nach reichen freiwillige Selbstverpflichtungen nicht aus. Sie verlangen klare, für alle verbindliche Rahmenbedingungen, die Wett bewerbsvorteile auf Kosten des Menschenrechts und des Um weltschutzes verhindern. Für ihr Engagement gibt es auch hand feste betriebswirtschaftliche Argumente: Wenn Unternehmen frei willig auf die Einhaltung von Mindeststandards bei Umwelt und Menschenrechten achten, können sie Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten erzielen, da sie höhere Kosten tragen müssen. Fairtrade bietet Alternativen Um ihre Lieferketten verantwortungsvoller zu gestalten, suchen sich Unternehmen vermehrt Fairtrade als Partner. Die Organisation mit ihrem weltweiten Netzwerk, den Standards, Mindestpreisen und Prämien sowie ihrem Knowhow kann für Unternehmen ein wert voller Partner bei der Umsetzung der menschenrechtlichen Sorg falts pflichten sein (siehe Seite 13). Zudem kann Fairtrade Unterneh men bei einigen der Prozessschritte zur Umsetzung von menschen rechtlichen Sorgfaltspflichten begleiten oder in deren Auftrag tätig werden. So hilft Fairtrade beispielsweise dabei, mehr Transparenz und Rückverfolgbarkeit in Lieferketten zu bringen. Die Umset zung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bleibt aber selbst verständlich weiterhin in der Hauptverantwortung der Unternehmen. Im Kakaosektor beispielsweise starten Firmen mit Fairtrade Pro jekte für existenzsichernde Einkommen. Bauernfamilien erhal ten ne ben den FairtradePrämien und Mindestpreisen einen mone tä ren Aufschlag in Form eines sogenannten «Living Income Diffe ren tials». Ziel ist es, die wirtschaftliche Unabhängigkeit dieser Bäuerinnen und Bauern innerhalb weniger Jahre massgeblich zu verbessern und ihnen zu ermöglichen, aus den Einnahmen ihrer Landwirtschaft ein existenzsicherndes Einkommen zu er zie len. Der Schoko la den hersteller Tony’s Chocolonely aus den Nie 6 Der blinde Fleck des Konsums Foto: Fairtrade/Eduardo Martino Auch beim Kaffee werden die Unter- nehmen mit neuen Gesetzen zunehmend verpflichtet, Verantwortung für ihre Lieferkette zu übernehmen. Aktuelle Gesetzesinitiativen Lieferkettengesetz Deutschland Der «Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte» (NAP) sieht vor, dass bis 2020 mindestens 50 Prozent der rund 7.200 Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Mitarbeitenden freiwillig Richtlinien entwickelten. Laut Koalitionsvertrag einig ten sich die beiden Regierungsparteien – SPD und CDU – da rauf, dass die Bundesregierung dann ein Lieferkettengesetz erar bei tet, wenn bis Juni 2020 weniger als 50 Prozent der Fir men die Vorgaben schaffen. Im Februar 2020 gaben laut Monito ring Bericht jedoch nur 20 Prozent der deutschen Unter neh men an, die Anforderungen zu erfüllen. Die «Initiative Liefer ketten gesetz», die auch durch Fairtrade unterstützt wird, for dert, ein Gesetz gebungsverfahren einzuleiten. Damit das Liefer ketten gesetz wirkt, muss es beispielsweise sicherstellen, dass Unter nehmen ihr Ri si ko analysieren, wirksame Maßnahmen ergreifen und darüber berichten oder es muss eine zivilrechtliche Haftung ermöglichen, wenn ein Schaden eingetreten ist. Mehr dazu: www.lieferkettengesetz.de 7 Der blinde Fleck des Konsums der landen bei spiels weise bezahlt bereits diesen Aufschlag, eben so die deutsche Rewe Group, die speziell dafür 2020 ver schiedene Sorten von FairtradeTafelschokoladen einführen wird. Aber auch der Dis counter Lidl engagiert sich mit seiner «Way to Go»Schokolade für ein besseres Einkommen. Für den Kakao zahlt das Unter neh men einen zusätzlichen Aufschlag, der direkt in lokale landwirt schaftliche Projekte fliesst. Neben der Zahlung des «Living Income Differentials» umfassen die Projekte aber auch Schulungen zu nach haltigeren Anbaupraktiken wie Agroforst wirtschaft, einer effizienteren Bewirtschaftung, Verbes serung des Managements sowie der Anbau weiterer Kulturen wie bei spiels weise CashewBäumen, um zusätzliche Einkom mensquel len zu generieren. Fairtrade-zertifizierte Lieferkette im Textilbereich Und selbst für die komplizierte Textilindustrie hat Fairtrade An sätze erarbeitet: Um gerechtere Bedingungen zu schaffen, hat Fairtrade den Textilstandard und das Textilprogramm entwickelt (siehe Seite 12). Es legt für die gesamte textile Lieferkette soziale, ökologische und ökonomische Kriterien fest, die deutlich über die Anforderungen der «Kernarbeitsnormen» der ILO hinausgehen und beispielsweise existenzsichernde Löhne beinhalten. Der Tex til standard von Fair trade kann Unternehmen als Unterstützung zur Umsetzung der men schen rechtlichen Sorgfaltsprüfung die nen. In Indien hat sich bereits die erste Näherei danach zer ti fizieren lassen. 2020 werden weitere Fabriken, Spinnereien und Ent körnungsfabriken folgen. Wenn diese Schritte erfolgt sind, kön nen Modeunternehmen wie Melawear oder Brands Fashion – Europas grösster Anbieter für nachhaltige Arbeits bekleidung – auf eine komplette Fairtradezertifizierte Lieferkette zugreifen und das FairtradeTextilsiegel für ihre Produkte verwenden. Das zeigt: Eine menschengerechte Lieferkette ist mög lich, Unternehmen müssen Chancen lediglich nutzen! «Früher gingen Frauen nicht in die Schule und waren von irgendwelchen Führungspositionen weit entfernt. Heute gibt es Frauen wie mich in einem Büro als Manager.» Rehema Levenei, Compliance Manager von Karen Roses, Kenia Nicht nur bei Bananen gilt: Werden bei der Produktion Menschenrechte verletzt, haften Unternehmen aus dem Norden nicht – sie profitieren. Foto: Fairtrade/Christoph Köstlin Sozialverantwortungsgesetz in Österreich Im Sommer 2019 hat das Parlament den Gesetzesentwurf für ein Sozialverantwortungsgesetz abgelehnt. Der Vorschlag wurde als Initiativ antrag eingebracht und sollte den Verkauf von Beklei dungsartikeln unterbinden, bei denen es entlang der Produktions und Lieferkette zu Zwangs und Kinderarbeit kommt. Durch die Neukonstituierung des Nationalrats könnte der Gesetzesentwurf wieder aktuell werden. Volksinitiative in der Schweiz Die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» fordert, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und internationale Um weltstandards auch ausserhalb der Schweiz zu respektieren haben. Dazu sollen Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung verbindlicher Umweltstandards haftbar ge macht werden, unabhängig davon, wo die Handlungen pas siert sind. Die Initiative umfasst auch eine verbindliche Sorg falts pflicht für Unternehmen. Die Initiative befindet sich in der parla men ta ri schen Behandlung. warum Sollen sich Unternehmen für die Menschenrechte in ihren Lieferketten einsetzen? und welche Vorteile bringt die Sorgfaltspflicht den Menschen im Süden? Die Antworten von Expertin Tytti Nahi*. «UNTERNEHMEN STEHEN IN DER VERANTWORTUNG» Foto: Tuomas Ylä Anttila Warum sollen sich Unternehmen für Menschenrechte in ihrer Lieferkette engagieren? 1948 hat die UN mit der Erklärung der allgemeinen Men schen rechte anerkannt, dass Menschen Rechte haben und Staa ten diese schützen müssen – 2011 hat sie diese mit ihren Leit prin zi pien für Wirtschaft und Menschenrechte erwei tert und fest ge halten, dass auch Unternehmen in der Verant wor tung stehen. Diese Entscheidung – dass die Wirtschaft Menschen rechte res pek tieren muss – ist ein Paradigmenwechsel. Sie zeigt, dass das Bewusstsein für Menschenrechtsverletzungen in globa len Lie ferketten steigen muss und von Unternehmen er war tet wird, dass sie zur Lösung dieser Probleme beitragen. Zudem können Unternehmen mit der menschenrechtlichen Sorg falts pflicht Res pekt für die Menschenrechte zeigen. Sie hilft ihnen, die Richt linien der Organisation für wirtschaftliche Zusam men arbeit und Entwicklung (OECD) einzuhalten und sich darauf vor zube reiten, dass die Sorgfaltspflicht in immer mehr Recht spre chungen obli gatorisch wird. Welche Vorteile bringt die Sorgfaltspflicht für Menschen im Süden? Die OECD betont in ihren Richtlinien, dass Arbeitende und andere Menschen in den Lieferketten, deren Rechte das Unter neh men berührt, einbezogen und angehört werden müssen. Die men schen rechtliche Sorgfaltspflicht kann den Menschen im Süden einen immensen Mehrwert bringen: Sie kann das ge gen seitige Verständnis aber auch eine gerechtere Verteilung der Wertschöpfung zwischen Arbeitnehmerinnen, Bauern und Han del fördern. Und welche Rolle soll Fairtrade dabei übernehmen? Wir haben zwei Schlüsselrollen. FairtradeZertifizierungen und Pro gramme helfen Unternehmen und Handel, Menschen rechts ver letzungen in Lieferketten zu reduzieren. Zudem versucht Fairtrade die Politik und Geschäftspraktiken so zu be ein flus sen, dass die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht die Machtverhält nisse in den Lieferketten zum Besseren ver ändert. Ihre Wirkung hängt aber von der Umsetzung ab: Wenn die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von oben nach unten umgesetzt wird und Unter nehmen immer strengere Anfor de run gen lediglich hinunter de le gieren, könnten Bäuerinnen und Bauern sowie Arbeitende noch schlechter gestellt werden. Wenn zudem der Handel einfach von Gebieten mit hohen systemischen Risiken – zum Beispiel hohe Armut – abwandert, werden Menschen ohne eigenes Verschulden aus den Lieferketten ausgeschlossen. Weshalb sollen sich Unternehmen in Sachen Sorgfalts- pflicht an Fairtrade wenden? Die Menschenrechte stehen im Mittelpunkt der FairtradeBe we gung. Wir stärken die Rechteinhaber – Kleinbäuerinnen und bauern sowie Arbeitende im Süden – durch die praktische Unter stüt zung ihrer Orga nisation, durch Kapazitätsaufbau, gegen seitige Zu sam menarbeit und Verhandlungsmacht. * Tytti Nahi arbeitet für Fairtrade Finnland und leitet im Fairtrade-System die Arbeitsgruppe zu menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht, kurz HRDD (Human Rights Due Diligence). 8 Interview mit FairtradeExpertin Tytti Nahi Tytti Nahi: «Von Unternehmen wird erwartet, dass sie zur Lösung der Probleme in den Lieferketten beitragen.»9 Carte Blanche: Solomon Tawiah McBanasam von Fairtrade Africa Wenn es beim Kakaoanbau um Menschenrechte geht, steht für Fairtrade die Bekämpfung von Kinderarbeit im Vordergrund. Solomon Tawiah McBanasam zeigt auf, wie dies vor Ort geschieht. IM KAMPF GEGEN KINDERARBEIT « Trotz aller Bemühungen, Kinderarbeit zu bekämpfen, ist diese im Kakaosektor nach wie vor sehr weit verbreitet. Allein in der Côte d’Ivoire und in Ghana arbeiten rund 2,1 Millionen Kinder auf Kakaofeldern. Fairtrade geht dieses Problem mit verschiedenen Programmen an. Allein das Kakaoprogramm in Ghana umfasst 9 zertifizierte Kooperativen mit 117.523 Mitgliedern, darunter 41.133 Frauen. Fairtrade fördert diese Organisationen nicht nur bezüglich der Einhaltung der Fairtrade Standards, sondern unterstützt sie auch darin, Komitees gegen Kinderarbeit zu bilden und Überwachungs und Präventionsfunktionen zu übernehmen. Um eine Politik der «Null Kinderarbeit» zu entwickeln, schult Fairtrade den Vorstand und die Mitarbeitende der Kooperativen. Dabei werden die Risiken auf Karten festgehalten, um die Ursachen für Kinderarbeit zu erkennen und darauf zu reagieren. Im Rahmen des Kakaoprogramms investieren die Bauernkooperativen vermehrt in die Bildungsinfrastruktur und Schulgelder, damit mehr Kinder die Schule besuchen und dort verbleiben. Um die Lebensbedingungen der Familien zu verbessern, er hielten Mitglieder finanzielle Unterstützung, um ein eigenes Kleinunternehmen zu starten. Mit dem Programm «Würde für alle» hat Fairtrade in der Gemeinde Asunafo Nord die lokalen Schulbehörden gestärkt, um ein gutes Schulumfeld zu schaffen. 34 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 15 Schulen wurden nach diesem Modell ausgebildet und 870 Schü lerinnen und Schüler in ihren Rechten geschult. Das Programm schärfte auch bei weiteren kommunalen Akteuren das Bewusst sein für die Kinderrechte. Insgesamt wurden 21 Kinderschutzkomitees gegründet. Und in 14 Kinder parlamenten er hal ten Kinder die Möglichkeit, gemeinsame Anliegen zu vertiefen. Einen Schritt weiter sind der Bauernverband von Kukuom in Ghana und die Kooperative Coopaweb in der Côte d’Ivoire. Sie beteiligen junge Menschen bei der Überprüfung des Kinderarbeitsverbots. Diese arbeiten mit den Zertifizierungsbeauftragten zusammen. Fairtrade prüft auch Partnerschaften mit anderen Akteuren in Westafrika. Denn: Wir sind überzeugt, dass wir durch gemein same Zusammenarbeit und gemeinsames Engagement diese Programme ausweiten können, um mehr Bäuerinnen und Bauern sowie ihre Familien anzusprechen. Wir arbeiten auch mit Unternehmen zusammen. Und Fairtrade tauscht sich regelmässig mit wichtigen Regierungsstellen aus, um unsere Erkenntnisse bei der Bekämpfung der Kinder arbeit im Kakao anbau einzubringen. Solomon Tawiah McBanasam arbeitet in Ghana als Senior Programme Officer zu Kakao für Fairtrade Africa.Next >